EuGH zur Überschreitung der wöchentlichen Höchstarbeitszeit

EuGH, Urteil C-397/01

Ein Tarifvertrag allein ist keine Grundlage für dauerhafte Überschreitungen der wöchentlichen Höchstarbeitszeit im Rahmen der von der EU-Arbeitszeitrichtlinie zugelassenen „opt-out- Klauseln.

Mit seiner Entscheidung im so genannten Pfeiffer-Verfahren (Rechtssache C-397/01) hat der Europäische Gerichtshof die Voraussetzungen für dauerhafte Überschreitungen der wöchentlichen Höchstarbeitszeit von 48 Stunden/Woche definiert.

Das Verfahren war durch eine Vorlage des Arbeitsgerichts Lörrach an den EuGH eingeleitet worden.

Kernfrage war, ob die dauerhafte Überschreitung der 48-Stunden-Grenze auf der Grundlage eines Tarifvertrages möglich ist oder ob es dafür trotz einer entsprechenden tarifvertraglichen Regelung der persönlichen Zustimmungserklärung des Arbeitnehmers bedarf.

Der EuGH entschied, dass ein Tarifvertrag allein keine Grundlage für dauerhafte Überschreitungen der wöchentlichen Höchstarbeitszeit im Rahmen der von der EU-Arbeitszeitrichtlinie zugelassenen „opt-out-Klauseln darstellen kann.
Eine solche Überschreitung sei nur bei „ausdrücklicher und freier Zustimmung des einzelnen Arbeitnehmers rechtswirksam.
Es genügt nach Auffassung der Richter nicht, dass der Arbeitsvertrag des Betroffenen auf einen Tarifvertrag verweist, der eine solche Überschreitung erlaubt.
Dies gilt auch dann, wenn diese Überschreitungen nicht durch Voll-Arbeitszeit, sondern durch Arbeitsbereitschaft oder Bereitschaftsdienst zustande kommen.

Der Gerichtshof bestätigt damit seine Rechtsprechung zum Arbeitszeitbegriff, der auch derartige Bereitschaftszeiten umfasst.
Zukünftig werden Überschreitungen der 48-Stunden-Grenze daher nur bei Vorliegen einer persönlichen und widerruflichen Zustimmung jedes einzelnen Arbeitnehmers auf der Grundlage einer tarifvertraglichen „opt-out-Klausel zulässig sein.
In solchen Klauseln müssen außerdem besondere Vorkehrungen für den Gesundheitsschutz getroffen werden.
Darüber hinaus muss der Arbeitgeber ein Verzeichnis der betroffenen Arbeitnehmer führen und darf diese im Fall des Widerrufs ihrer Zustimmung zur Überschreitung der Wochenarbeitszeit nicht benachteiligen.

Die Entscheidung des EuGH hat nur begrenzte Wirkung in Deutschland, da sie das Arbeitsgericht Lörrach lediglich verpflichtet, die Rechtsauffassung des EuGH bei seiner Entscheidung zu beachten. Bei dieser Entscheidung darf sich das deutsche Gericht jedoch nicht über das deutsche Arbeitszeitgesetz hinwegsetzen, das in § 25 ArbZG für bestehende und nachwirkende Tarifverträge, die noch Überschreitungen der Wochenhöchstarbeitszeit von 48 Stunden zulassen, eine Übergangsfrist bis Ende 2005 einräumt. Denn auch wenn diese Vorschrift europarechtswidrig sein sollte, kann sie nicht von einem einfachen Gericht außer Kraft gesetzt werden.
Die EU-Arbeitszeitrichtlinie ist (anders als EU-Verordnungen) nur im staatlichen Bereich unmittelbar anwendbar.
Private Einrichtungen können daher bis zu diesem Zeitpunkt von entsprechenden tarifvertraglichen Regelungen Gebrauch machen.
In staatlichen Einrichtungen gilt ebenfalls grundsätzlich die Übergangsfrist bis Ende 2005. Hier haben Arbeitnehmer jedoch einen individuellen Anspruch auf die Einhaltung der Grenzen der EU-Arbeitszeitrichtlinie.

Dies hatte das Bundesarbeitsgericht bereits im Juni 2003 festgestellt.

Die Möglichkeiten der flexiblen Arbeitszeitgestaltung werden durch die Entscheidung des EuGH im übrigen nicht berührt.

So kann die Höchstarbeitszeit von 48 Stunden/Woche innerhalb eines Durchschnittszeitraums von sechs Monaten (nach tariflicher Regelung bis zu einem Jahr) variabel verteilt werden; dabei können in einzelnen Wochen auch mehr als 48 Stunden geleistet werden.

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