Vollbeschäftigung

Vollbeschäftigung gilt in fast allen Industrieländern als eines der vier Ziele des sogenannten Magischen Vierecks der Konjunkturpolitik. Das zeigt ihren Rang neben den anderen drei Zielen Preisniveaustabilität, Zahlungsbilanzgleichgewicht und angemessenes Wachstum. Das Attribut magisch deutet an, dass sich diese vier gesamtwirtschaftlichen Ziele meist nicht gleichzeitig erfüllen lassen. Vollbeschäftigung gilt in Wissenschaft und Politik als erreicht, wenn die Zahl der Arbeitslosen die Zahl der offenen Stellen nicht übersteigt und gesamtwirtschaftlich eine vorab festgelegte durchschnittliche Arbeitslosenquote nicht überschritten wird.

So galt zum Beispiel Anfang der achtziger Jahre eine Arbeitslosenquote von 4,5 Prozent als Vollbeschäftigung, zehn Jahre zuvor lag diese Zielmarke noch bei 0,8 Prozent. In einzelnen Wirtschaftsregionen oder Branchen kann die durchschnittliche Arbeitslosenquote der Volkswirtschaft bei Vollbeschäftigung erheblich unter- oder überschritten werden. Mit der zunehmenden strukturellen, also nicht konjunkturabhängigen Arbeitslosigkeit ist aber sowohl die Festlegung der Vollbeschäftigungsgrenze als auch die Realisierung des Zieles Vollbeschäftigung schwieriger geworden.

Der allgemeine Begriff der Vollbeschäftigung hat deshalb als wirtschaftspolitisches Oberziel an Bedeutung verloren. Statt dessen wird zunehmend von inflationsstabiler, von quasi-gleichgewichtiger oder auch von natürlicher Arbeitslosigkeit gesprochen. Dies sind Arbeitslosenquoten, die durch konjunkturbelebende Maßnahmen nicht unterschritten werden können, ohne inflationäre Tendenzen oder Lohn-Preis-Spiralen auszulösen. Allerdings lehrt etwa der lang anhaltende Aufschwung am US-Arbeitsmarkt seit Mitte der neunziger Jahre, dass auch das Niveau an natürlicher, sozusagen unvermeidlicher Arbeitslosigkeit deutlich unter Werte von 5 Prozent sinken kann. Den USA ist dies gelungen, weil sie im Zuge des Aufschwungs auch für jene Menschen Arbeitsplätze schaffen konnten, die vorher für nicht in den Arbeitsmarkt integrierbar gehalten wurden, und vor allem viele Langzeitarbeitslose mit geringer Qualifikation. Von diesem Phänomen ist Deutschland allerdings noch weit entfernt.

Hierzulande geht die registrierte Arbeitslosigkeit trotz kräftigen Wirtschaftswachstums nur langsam zurück. Statt dessen treten die Strukturprobleme des Arbeitsmarktes immer deutlicher hervor: Passen die gemeldeten Arbeitslosen zu den gemeldeten offenen Stellen? Wie hoch ist der Anteil der Problemgruppen (Langzeitarbeitslose, Unqualifizierte, ältere Arbeitslose) an den gemeldeten Arbeitslosen? Warum gibt es einerseits so viel Bewegung auf dem Arbeitsmarkt, andererseits aber gleichzeitig einen lange Zeit unveränderten Bestand an Arbeitslosigkeit? Angesichts dieser Fragen ist Vollbeschäftigung weniger als ein operationaler Erfolgsindikator für die Konjunktur- und Wirtschaftspolitik zu verstehen, sondern vielmehr als ein politisches Ziel und als Gegenbegriff zum Schreckensszenario vom angeblichen Ende der Erwerbsarbeit.

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