Auslegung von arbeitsvertraglicher Bezugnahme auf Tarifverträge

Rechtsprechungsänderung des BAG:

Um den Schwierigkeiten zu begegnen, die Arbeitgeber haben, weil sie meist nicht feststellen können, welche Arbeitnehmer tatsächlich (in welcher Gewerkschaft) tarifgebunden sind … … besteht die Möglichkeit – unabhängig von beiderseitiger Tarifgebundenheit – im Arbeitsvertrag zu vereinbaren, dass sich das Arbeitsverhältnis im Übrigen nach einem bestimmten Tarifvertrag richten soll.

Die Rechtsfolgen derartiger Bezugnahmeklauseln hängen maßgeblich von ihrer konkreten Ausgestaltung und Auslegung ab.

In der Vergangenheit wurden überwiegend sog. kleine dynamische Bezugnahmeklauseln verwendet, die einen genau bezeichneten Tarifvertrag in seiner jeweils gültigen Fassung in Bezug nehmen, also (dynamisch) auch künftige Änderungen dieses Tarifvertrages einbeziehen.

Bisherige Rechtsprechung

Bisher hat das Bundesarbeitsgericht sog. kleine dynamische Bezugnahmeklauseln, als Gleichstellungsabreden ausgelegt und behandelt.

Eine dynamische Verweisung auf einen bestimmten Tarifvertrag bezweckte nach (bisheriger) Auslegung lediglich, dass die nicht gewerkschaftlich organisierten Arbeitnehmer ebenso behandelt werden wie Gewerkschaftsmitglieder, auf die wegen ihrer Mitgliedschaft in der tarifschließenden Gewerkschaft die betreffenden Tarifverträge bereits tarifrechtlich (§ 4 Abs. 1, § 3 Abs. 1 TVG) angewendet werden müssen.
Diese Gleichstellung bewirkte bei Wegfall der Tarifbindung des Arbeitgebers durch Austritt aus dem Arbeitgeberverband, Betriebsübergang oder Umwandlung nach dem UmwG, dass der alte Tarifvertrag ebenso wie bei Gewerkschaftsmitgliedern auch für Nichtgewerkschaftsmitglieder nur noch statisch fortgalt und künftige Änderungen des Tarifvertrages nicht mehr maßgeblich waren.

Rechtsprechungsänderung

Bereits mit Urteil vom 14.12.2005 (4 AZR 536/04) hatte das BAG angekündigt, für nach dem 01.01.2002 abgeschlossenen Arbeitsverträge die o.g. Auslegungsregel aufzugeben und eine Gleichstellungsabrede nur dann anzunehmen, wenn es hierfür aus Vertragswortlaut und/oder Begleitumständen bei Vertragsschluss hinreichende Anhaltspunkte gibt.

Im Urteil vom 18.04.2007 (4 AZR 652/05) hat der Senat diese Ankündigung nun umgesetzt.

In dem der Entscheidung zugrunde liegenden, bereits länger andauernden Arbeitsverhältnis der Klägerin war im Mai 2002 ein schriftlicher Arbeitsvertrag geschlossen worden, der auf den einschlägigen Tarifvertrag in der jeweils geltenden Fassung verwies (kleine dynamische Bezugnahme). Es gab aus dem Vertragswortlaut und den Umständen bei Vertragsschluss keine Anhaltspunkte für einen Willen der Vertragsparteien, dass es nur um eine Gleichstellung nicht organisierter mit organisierten Arbeitnehmern gehen sollte.
Daher legte das BAG die im Arbeitsvertrag enthaltene Bezugnahmeklausel nach ihrem Wortlaut auch weiter als dynamisch aus, so dass auch künftige Änderungen des in Bezug genommenen Tarifvertrags von der Klausel erfasst sind.

Der Senat hat die Arbeitgeberin, die zwischenzeitlich aus dem tarifschließenden Verband ausgetreten war, (aus seiner Sicht folgerichtig) für verpflichtet gehalten, auch die nach ihrem Austritt aus dem Arbeitgeberverband abgeschlossene Änderungstarifverträge gegenüber der Klägerin anzuwenden. Auswirkungen auf die Praxis In der Praxis wird diese nun umgesetzte Änderung der Rechtsprechung bei Verwendung von kleinen dynamischen Bezugnahmeklauseln zur Folge haben, dass die Verweisung auf einen in Bezug genommenen Tarifvertrag in Arbeitsverträgen, die nach dem 01.01.2002 geschlossen wurden, stets als (dauerhaft) dynamisch auszulegen ist, wenn sich der Klausel keine diese Bindung wirksam einschränkenden Regelungen entnehmen lassen und zwar selbst dann, wenn die zwingende Wirkung des in Bezug genommenen Tarifvertrages in Folge eines Verbandsaustritts oder Betriebsübergangs nicht mehr besteht (Tarifgarantieklausel).

Eine ähnliche Wirkung könnte sich auch für gewerkschaftlich organisierte und damit tarifgebundene Arbeitnehmer ergeben, die üblicherweise, weil der Arbeitgeber deren Gewerkschaftszugehörigkeit nicht kennt, ebenfalls solche Bezugnahmeklausel in ihren Arbeitsverträgen vorfinden.
Solche Klauseln bekämen dann – entgegen bisheriger Rechtsprechung des BAG – einen eigenständigen Regelungsgehalt, z.B. bei Austritt des Arbeitnehmers aus der Gewerkschaft oder einem Verbandsaustritt des Arbeitgebers.
Man käme bei entsprechend unklarer Formulierung der Klausel so möglicherweise zu einer umfassenden Dynamik der Bezugnahmeklausel sowohl für organisierte als auch für nicht organisierte Arbeitnehmer, unabhängig von der Tarifbindung des Arbeitgebers oder des Arbeitnehmers.

Dies alles führt dazu, dass ein Ausstieg aus der dynamischen Bindung an einen Tarifvertrag für Arbeitgeber deutlich schwieriger wird, sofern die betreffenden Mitarbeiter nach dem 01.01.2002 eingestellt wurden und hierbei dynamische Bezugnahmeklauseln vereinbart wurden.

Bezüglich solcher Arbeitnehmer bleibt ein Arbeitgeber auch nach einem Verbandsaustritt dauerhaft an den in Bezug genommenen Tarifvertrag gebunden, wenn es ihm nicht gelingt, einvernehmlich mit den Arbeitnehmern eine Änderung der vorhandenen Arbeitsverträge zu erreichen.

Handlungsbedarf für Arbeitgeber

Arbeitgeber sollten Bezugnahmeklauseln künftig sorgfältig formulieren, damit sie nicht Gefahr laufen, auf ewig dynamisch an einen in Bezug genommenen Tarifvertrag gebunden zu bleiben.
Der Wille der Vertragsparteien, dass es bei der Bezugnahme auf den Tarifvertrag nur um eine Gleichstellung nicht organisierter mit organisierten Arbeitnehmern gehen soll, muss klar aus der Klausel hervorgehen.
Zugleich sollte die Bezugnahmeklausel deutlich machen, dass der Arbeitgeber nur solange den Tarifvertrag in Bezug nehmen will, wie er selbst (aufgrund Mitgliedschaft im tarifschließenden Arbeitgeberverband) hieran gebunden ist.

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