Voraussetzungen für die Anwendbarkeit von Branchen-Mindestlohnregelungen

Nicht Tätigkeit, sondern Eigenart des Entleihbetriebs entscheidend.

Voraussetzungen für die Anwendbarkeit von Branchen-Mindestlohnregelungen

Wir haben im iGZ-Newsletter Nr. 47 vom 08.12.2006 die Ansicht des Ministeriums für Arbeit und Soziales sowie der Oberfinanzdirektion Köln zu der Frage des Mindestlohns im Maler- und Lackiererbereich dargestellt.
Dort wird die Ansicht vertreten, dass es für die Gewährung des Mindestlohns allein auf die Tätigkeit ankomme, dass also der Mindestlohn auch dann anzuwenden sei, wenn das Unternehmen nicht aus dem Malerbereich stammt, sondern zum Beispiel ein Versicherungsunternehmen ist.

Der iGZ vertritt hierzu eine andere Auffassung, die wir wie folgt begründen:

Diese Auslegung und Anwendung des § 1 Abs. 2a Arbeitnehmer-Entsendegesetz ist meines Erachtens nicht zwingend.

Entstehungsgeschichte und Motive des Gesetzgebers

Das Arbeitnehmer-Entsendegesetz in der Ursprungsfassung vom 26. Februar 1996 hatte überhaupt keine dem § 1 Abs. 2a vergleichbare Regelung. Das lag an der damaligen Fassung des § 1b Arbeitnehmerüberlassungsgesetz, der eine Überlassung ins Bauhauptgewerbe praktisch unmöglich machte.
Als auf Druck der Rechtsprechung des EuGH, der den § 1b Arbeitnehmerüberlassungsgesetz als in Teilen europarechtswidrig erkannte, die Restriktionen abgebaut wurden und eine grenzüberschreitende Arbeitnehmerüberlassung in den Bereich der vom sachlichen Anwendungsbereich des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes umfassten Branchenbereiche möglich erschien, sah sich der Gesetzgeber aufgefordert, die Arbeitnehmerüberlassung im Arbeitnehmer-Entsendegesetz zu regeln.
Außerdem wurde die Arbeitnehmerüberlassung ins Baunebengewerbe von dem Verbot des § 1b Arbeitnehmerüberlassungsgesetz nicht erfasst.
Von der Systematik des Gesetzes sind sowohl grenzüberschreitende als auch innerdeutsche Sachverhalte betroffen (siehe jetzt auch § 1 Abs. 1 Satz 3, 1. HS. Arbeitnehmer-Entsendegesetz).
Der Gesetzgeber wollte das Ausweichen in die Arbeitnehmerüberlassung verhindern (BT-Drucksache 13/ 8994, S. 70). Eine nähere Begründung für die Vorschrift wird nicht gegeben. Insbesondere wird nicht erwähnt, dass die Tätigkeit insgesamt unter den Zwang zur Anwendung eines Mindestlohns fallen soll.

Es ist nicht anzunehmen, dass der Gesetzgeber die hier in Rede stehende Konstellation überhaupt vor Augen hatte.
Dies lässt sich an folgendem Gedanken ablesen:

Das Arbeitnehmer-Entsendegesetz enthielt in seiner Ursprungsfassung, wie bereits erwähnt, keine dem § 1 Abs. 2a vergleichbare Regelung.
Der Gesetzgeber sah keine Regelungsnotwendigkeit, da die Überlassung ins Baugewerbe praktisch ausgeschlossen war.
Allerdings war es schon nach der Fassung des § 12a AFG und des § 1b Arbeitnehmerüberlassungsgesetz möglich, in Betriebe zu überlassen, die nicht dem Baugewerbe angehören, selbst wenn dort Tätigkeiten ausgeübt werden, die im Katalog des § 1 Abs. 2 Baubetriebverordnung aufgeführt sind.

Dass allein auf den Betrieb und nicht die Tätigkeit als solche abzustellen ist, darf als allgemeine Auffassung angesehen werden (Schüren, AÜG, § 1b Rz. 27). Wenn nun der Gesetzgeber die Überlassung in Betriebe, die nicht dem Baugewerbe angehören unter Aufnahme von Bautätigkeiten als Ausweichgefahr gesehen hätte, wäre schon zum damaligen Zeitpunkt eine Regelung wie in § 1 Abs. 2a Arbeitnehmer-Entsendegesetz erforderlich gewesen.
Der Gesetzgeber hat aber die Einfügung des § 1 Abs. 2a Arbeitnehmer-Entsendegesetz offensichtlich verknüpft mit der Änderung des § 1b Arbeitnehmerüberlassungsgesetz, der aber erkennbar nur auf den Entleiherbetrieb und nicht auf die Tätigkeit abstellt.

Die Zeitarbeit als besondere Dienstleistung

Wie schon erwähnt, hatte der Gesetzgeber die Sorge vor einer Umgehung der Mindestarbeitsbedingungen durch Einsatz von Leiharbeitnehmern. Diese Sorge gründete sich auf den Umstand, dass ein Zeitarbeitsunternehmen üblicherweise nicht vom Anwendungsbereich bestimmter Branchenmindestlöhne erfasst ist. Dies beruht auf der Eigenart der Zeitarbeit, die als Anbieter einer speziellen Dienstleistung eine eigene Branche darstellt, aber zugleich in gewisser Weise aufs engste mit anderen Branchen verbunden ist.
Versteht man § 1 Abs. 2a Arbeitnehmer-Entsendegesetz so, dass damit allein die Tätigkeit maßgeblich sein soll, so kann ein solcher Regelungsgehalt nur erklärbar sein vor dem Hintergrund einer bestehenden Sorge, dass auch in Fällen, in denen der Entleihbetrieb nicht in den betrieblichen Geltungsbereich des Mindestlohntarifvertrages fällt, die Gefahr des Ausweichens vom Mindestlohn besteht.
Hier muss man sich den Vertragstypus der Arbeitnehmerüberlassung vor Augen führen, um zu erkennen, dass diese Umgehungsgefahr kaum besteht.

Der Arbeitnehmerüberlassungsvertrag ist eine Unterart des Dienstvertrages in Form des Dienstverschaffungsvertrages.

  • Der Verleiher schuldet keinen Werkerfolg, die eingesetzten Leiharbeitnehmer unterliegen dem Weisungsrecht des Entleihers.
  • Der Entleiher hat keine Gewährleistungsrechte gegenüber dem Verleiher.

Es liegt auf der Hand, dass die Zahl der Überlassungen in dieser Konstellation immer auf bestimmte Fallkonstellationen begrenzt sein wird.
Sie wird es geben – sie wird auch möglicherweise in der Zahl anwachsen; aber sie werden aufgrund der beschriebenen Einschränkungen nie ein ernsthaftes Konkurrenzproblem zu dem Werkverträgen bilden, die von Fachbetrieben abgeschlossen werden.
Daraus folgt meines Erachtens, dass ein Problem der Gesetzesumgehung nicht dadurch entsteht, dass der Mindestlohn nur dann zu zahlen ist, wenn der Entleiher in den gesamten Geltungsbereich des Tarifvertrages Mindestlohn für Maler und Lackierer einzuordnen ist.

 Geänderte Bedingungen in der Zeitarbeit

Zunächst muss man feststellen, dass nach allgemeiner Auffassung die Rechtswirkung eines für allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrages nicht darin besteht, dass der Anwendungsbereich ausgeweitet wird (Erfurter Kommentar, § 5 Rz. 5).

Die Rechtswirkung eines für allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrages besteht allein darin, dass die fehlende beiderseitige Tarifbindung ersetzt und kraft Allgemeinverbindlichkeit eine unmittelbare und zwingende Wirkung erzielt wird.

Nun mag man die Ansicht vertreten, der Gesetzgeber habe in § 1 Abs. 2a Arbeitnehmer-Entsendegesetz der Allgemeinverbindlichkeit eine stärkere Wirkung beimessen wollen als dies allgemein nach § 5 Tarifvertragesgesetz oder nach § 1 Abs. 1 Arbeitnehmer-Entsendegesetz der Fall ist.
Die stärkere Wirkung besteht darin, dass nicht nur die fehlende Tarifbindung durch die Allgemeinverbindlichkeit ersetzt wird, sondern dass der Anwendungsbereich des für allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrages erweitert wird. Denn wenn lediglich der persönliche Geltungsbereich maßgeblich sein soll und die Einschränkungen im betrieblichen Geltungsbereich nicht gelten sollen, dann wird der Anwendungsbereich größer.
Das widerspricht, wie dargestellt, der Grundsystematik von Allgemeinverbindlichkeitserklärungen.

Diese Vorschrift begegnet ganz grundsätzlichen Zweifeln, da sie zu einer Zeit entstanden ist, als in der Zeitarbeit nahezu keine Tarifverträge existierten. Zu dieser Zeit mag das gesetzgeberische Ziel noch verständlich gewesen sein, die Zeitarbeitsunternehmen an fachfremde Tarifverträge zu binden.
Vor dem Hintergrund einer nahezu ausschließlichen Anwendung von Tarifverträgen in der Zeitarbeit ist dieser gesetzgeberische Regelungsgehalt kaum noch zu vertreten.
Noch weiter wächst das Unverständnis, wenn die Vorschrift in dem Sinne interpretiert wird, dass nur die Tätigkeit allein maßgeblich ist.
Dadurch käme es nicht nur zur Überleitung der fachfremden Tarifverträge auf die Zeitarbeit.
Der Rechtsbefehl des § 1 Abs. 2a Arbeitnehmer-Entsendegesetz beschränkte sich allein auf eine Tätigkeit, was, wie erwähnt, im Widerspruch zur Systematik von Allgemeinverbindlichkeiten stünde.
Der Tarifvertrag Mindestlohn für Maler und Lackierer wäre auch dann anwendbar, wenn weder der Verleiher noch der Entleiher in dessen betrieblichen Geltungsbereich fiele.
Stellte der Entleiher den betreffenden Arbeitnehmer selbst ein, wäre er nicht an den Tarifvertrag Mindestlohn gebunden. Das Zeitarbeitsunternehmen soll aber gebunden sein.
Das ist eine Ungleichbehandlung, für deren Rechtfertigung meines Erachtens keine Gründe bestehen, die so ernsthaft sind, dass sie einen so schwerwiegenden Eingriff in die wirtschaftlichen Freiheiten von Zeitarbeitsunternehmen rechtfertigen.

Im Übrigen wäre zu erwarten gewesen, dass der Gesetzgeber für solch einen Eingriff näher begründet hätte.
Das ist aber, wie aufgezeigt, nicht geschehen.

E. Fazit

Die Verpflichtung zur Gewährung des Mindestlohns besteht nicht schon dann, wenn die Tätigkeit in den Geltungsbereich des für allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrages fällt.
Vielmehr muss der Entleihbetrieb dem betrieblichen Geltungsbereich unterfallen.

Der iGZ wird weiterhin versuchen, die zuständigen öffentlichen Stellen von der Richtigkeit dieser Ansicht zu überzeugen.

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